Mittwoch, 8. Juni 2011

Egon Schiele - Selbstportraits und Portraits , Belvedere, 21. 2. 2011

Einer meiner allerliebsten Maler beeindruckt und glänzt

Seit 27.2. liegt dieser Beitrag unfertig herum, jetzt geht die Schieleausstellung nur noch ein paar Tage, bis 13.6. - Zeit, endlich meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen ;o).

Vorweg: Man kann wohl nur begeistert sein, wenn man eine so umfassende Ausstellung eines seiner Lieblingsmaler anschaun geht und dabei einige seiner Werke zum ersten Mal lebensecht sieht. Trotzdem ein Versuch, objektiv zu bleiben:
Nach einer teilweise unterirdischen Wanderung zu den Ausstellungsräumen betritt man eine etwas abgedunkelte, seltsam lachsrosa-pastellige, runde Welt, die nicht aus einzelnen Ausstellungsräumen besteht, sondern aus durchgehenden, kurvenden Wänden. Nicht so dunkel, wie in der Albertina und nach der ersten Verwunderung über die Wandfarbe eigentlich sehr angenehm; es bleibt allerdings durch die Architektur im Gedächtnis nicht viel von der (räumlichen) Struktur und vom Aufbau der Ausstellung erhalten - eine durchgehende "Wurscht" halt ;o).
Die Ausstellung beginnt mit den frühesten Bildern Schieles, von den braven Studien der Akademiezeit in Kohle hin zu ersten wirklich eigenständigen Kunstwerken. Man steht schon gleich am Anfang da und staunt über die sicheren Linien und die hier dokumentierte Verwandlung innerhalb von zwei Jahren nach dem Austritt aus der Akademie der Bildenden Künsteund der Abwendung vom Konventionellen. Erste Auftragswerke bzw. Werke, für die sich der Maler Geld erhofft, mitsamt Vorstudien. Schon sehr bald nach Betreten der Räume erkennt man "den Schiele" in den Bildern, und je mehr Details einem auffallen, desto länger steht man und schaut einfach nur:
Grün, ocker und rot vor hellem, undefiniertem Hintergrund dominieren in den frühesten Portraits und es wird in die flüssige Ölfarbe hineingewischt und -gekratzt für Gewandfalten und Haut - v.a. die Hände fallen auf. Schiele macht da scheinbar keinen Unterschied zwischen kleinformatigen Arbeiten (mit Zeichnung, Aquarell, Gouache etc.) und den großen Bildern, was den Technikmix und die Arbeitsweise betrifft. Bei diesen Bildern finde ich die Mischung aus Ausführen (Akzente), Weglassen, Verzerren und Darstellen von Details (Lippen, Augen, Hände, einige Gewanddetails) besonders interessant, und immer die sichere, dunkle Linie Schieles.
Man geht von Bild zu Bild und wird so weiter durch die gewundenen "Eingeweide" geschleust, ohne es wirklich zu merken, trifft dabei auch auf zwei, drei Arbeiten, die (mir) irgendwie so gar nicht gefallen (Farben, Ausführung), bevor man wieder begeistert steht und schaut, dabei Schieles Leben in seinen Bildern verfolgt (erste Auftragswerke, "Brautwerbung", Zeit im Gefängnis, Zeit beim Militär - alles über Portraits dokumentiert). Zeitweise hat man vom Ausstellungsaufbau her ein bisschen Schwierigkeiten zu erkennen, wo's chronologisch weitergeht, weil die Räume so rund und ineinander verschlungen sind - was aber nichts an den tollen Bildern ändert, bei denen man trotz ihrer eher übergangslosen Präsentation um 1915 eine Änderung im Stil Schieles erkennt:
Die Linie bleibt, wird aber stärker, die Farbe wird dickflüssiger, "eckiger", wirkt trocken verschmiert, nicht mehr flüssig (z.B. Tod und Mädchen 1915). Rot und Türkis werden jetzt für Akzente des Körpers/ der Haut verwendet (Wangenknochen, Ellbogen etc.). Zwischen die späteren Bilder mischen sich auch immer wieder und weiterhin ausdrucksstarke Kohlezeichnungen, die einem selbst so richtig Lust aufs Zeichnen machen. Die Hintergründe der späten gemalten Portraits werden ein wenig gegenständlicher, teilweise sehr dunkel, bleiben aber alles andere als realistisch, womit der Fokus wie bei den frühen Bildern auf dem Modell verbleibt.
Über die außerkünstlerische (<-- Wort?) Entwicklung Schieles erfährt man über die (teilweise wie willkürlich hingeklebte) Wandtexte und über die an mehreren Stationen elektronisch präsentierten Briefe des Künstlers (Bittbriefe ("Brauche Geld, bitte um XY Kronen"), Briefe über Leinwände und Farben, Briefe an Portraitierte und Freunde), die gleichzeitig auf angenehme Weise das Staunen auflockern.

Ja. Einen Abschluss oder eine Entwicklung innerhalb der Portraits hin zu einem "Spätwerk" gibt es bei Schiele nicht, der Künstler und seine hochschwangere Frau sterben 1918 jung an der Spanischen Grippe. Dementsprechend abgehackt ist auch die Ausstellung mit einem seiner letzten Bilder zu Ende. Ein paar inszenierte Portraitfotos Schieles bilden den angehängten Abschluss, draußen kann sich der Besucher noch einmal die "Lebenslinie" mit Fotos anschaun.

Ich bin dort gänzlich begeistert hinausgegangen, nachdem ich zwei Stunden oder mehr in den seltsamen "Eingeweiden" des Belvederes  glücklich gestaunt hab. Geärgert hab ich mich dann nur im Shop, weils dort keine schönen Schielepostkarten sondern nur den "Klimtglitzerscheiß" für Touristen gegeben hat. Aber das ist meine persönliche Misere ;o).

Organisation der Ausstellung: chronologisch - dadurch, dass die Räume aber rund und ineinander verschlungen sind, Reihenfolge nicht immer sofort ersichtlich
Bildpräsentation: Vor lachsrosa-pastelliger Wand, Beleuchtung angenehm.
Info an den Wänden/ neben den Bildern: Bildbezogene Infos neben den Bildern, dazu die großen Texte an der Wand - die aber einfach wie irgendwie dort an die Wand geklebt wirken, wo halt noch Platz war. Man liest sie nicht, wenn man eine neue Abteilung betritt, sondern irgendwann dazwischen. Positiv: Die Briefe Schieles an Gönner und Auftraggeber - Geldprobleme und Bittbriefe - sehr gelungen zur Auflockerung, man erhält näheren Einblick in das alltägliche Leben des Künstler. Interessant wären hier evtl. noch die Reaktionen der Portraitierten gewesen.
Gesamteindruck: Durch die runden Räumlichkeiten und die dazwischen geworfenen Texte ein wenig schwammig im Gerüst, aber der Inhalt ist absolut, absolut sehenswert. Man steht und schaut, schaut, schaut, lauter Details, die einem auffallen, sehr viel Platz und Zeit vor den Bildern -- am Liebsten wär ich mir die Ausstellung noch ein zweites Mal anschaun gegangen, so gut hat sie mir gefallen. Wer noch Zeit hat: unbedingt anschaun gehn!!! :o)

Angeschaut in ca. 2 Stunden.
Eintritt für Studenten: € 7,-
Eintritt normal: € 9,50


Besonders gut haben mir gefallen:
Sitzender männlicher Akt, 1910
Öl und Deckfarbe auf Leinwand

Eduard Kosmack mit gefalteten Händen, 1910
Kohle, weiß gehöht auf Papier

Selbstportrait mit braunem Hintergrund, 1912
Gouache, Aquarell und Bleistift auf Papier

Sitzender männlicher Akt (Selbstportrait), 1917
Schwarze Kreide auf Papier

August Lederer, 1918
Schwarze Kreide auf Papier

Lilly Steiner, 1918
Schwarze Kreide auf Papier